Wenn Schusseligkeit sich lohnt

Der Stella Liebeck-Preis verulkt das US-Entschädigungssystem / Ausgezeichnet werden skurrile Unfälle, bei denen Opfer Schadenersatz erstreiten

Merv Grazinski hat den Stella Liebeck-Award 2003 erhalten. Der Preis nimmt das US-Entschädigungssystem aufs Korn. Grazinski hatte nach einem Unfall mit seinem Wohnmobil vom Hersteller 1,75 Millionen Dollar erstritten. In der Gebrauchsanleitung steht nicht, dass der Fahrer bei eingeschaltetem Tempomat am Steuer bleiben muss.

VON SEBASTIAN GEHRMANN UND MATTHIAS KITTMANN

So ist es richtig... (ap)

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Frankfurt a.M. · 4. März · Der in den USA von findigen Journalisten und Jurastudenten vergebene Stella Liebeck-Award nimmt jene typische Verwerfung des anglo-amerikanischen Rechtssystems aufs Korn, die in Deutschland undenkbar wäre: Schadenersatz für ausgemachte Dummheit. Benannt ist der (undotierte) Preis nach Stella Liebeck, die sich 1992 einen McDonald's-Kaffee über den Leib schüttete. Sie erhielt in erster Instanz 2,9 Millionen Dollar Schmerzensgeld zugesprochen (das allerdings später auf 640 000 Dollar reduziert wurde), weil auf dem Kaffee der Hinweis fehlte, dass er erstens heiß ist und man sich zweitens daran verbrennen könne.

Im Laufe der Jahre erstritt sich noch so mancher brave Bürger auf ähnliche Art und Weise ein kleines Vermögen. Und allesamt wurden sie mit dem "Stella Liebeck-Award" ausgezeichnet. So wie Kathleen Robertson aus Austin (US-Bundesstaat Texas). Sie bekam von einer Jury 780 000 Dollar Schadenersatz zugesprochen, weil sie sich in einem Möbelgeschäft den Knöchel gebrochen hatte, nachdem sie über einen auf dem Boden herumkriechenden Säugling gestolpert und gestürzt war. Die Ladenbesitzer nahmen das Urteil gefasst aber ungläubig zur Kenntnis, da der Säugling der Sohn der Klägerin war.

Der freie Fall reicht jedoch nur zu einem der hinteren Ränge der Hitliste der Unverfrorenheit. Genauso wie für Terence Dickson aus dem Bundesstaat Pennsylvania. Er versuchte, das Haus, das er soeben beraubt hatte, durch die Garage zu verlassen. Allerdings konnte er die Garagentür nicht öffnen und ins Haus kam er auch nicht mehr zurück. Weil die Hausbesitzer in Urlaub waren, musste Dickson acht Tage in der Garage mit Pepsi-Cola und Hundefutter ausharren. Fast verständlich, dass er die Hausbesitzer wegen der erlittenen seelischen Qualen (Pepsi-Cola ohne Eis!; Anm. d. Red.) verklagte und prompt 500 000 Dollar Schadenersatz erhielt - zahlbar von der Einbruchdiebstahlversicherung der Hauseigentümer versteht sich.

Mehr als fair scheinen daher die 113 500 Dollar, die Amber Carson aus Pennsylvania erhielt, die in einem Restaurant auf einer Getränkepfütze ausgerutscht war und sich das Steißbein gebrochen hatte. Das Getränk befand sich auf dem Fußboden, weil Frau Carson es 30 Sekunden zuvor ihrem Freund ins Gesicht geschüttet hatte. Zahlen musste allerdings das Restaurant, nicht der Freund.

Oder Kara Walton aus dem Bundesstaat Delaware. Sie bekam die Zahnbehandlung und 12 000 Dollar zugesprochen. Sie hatte sich bei dem Versuch, sich ohne zu bezahlen durchs Toilettenfenster in eine Diskothek zu mogeln, beim Sturz aus dem Fenster zwei Vorderzähne ausgeschlagen.

Doch nun zu dem strahlenden Sieger 2003. Merv Grazinski aus Oklahoma, dem Wohnmobil-Pechvogel. Er hatte eine sorglose Ferienreise geplant inklusive Besuch eines Football-Spiels. Auf dem Rückweg stellte er das Tempomat des Gefährts auf 70 Meilen pro Stunde ein - angesichts des US-Tempolimits zweifellos sinnvoll. Während der Fahrt war ihm nach einer Tasse Kaffee zu Mute und er begab sich in den hinteren Teil des Wohnmobils, um sich dort einen zuzubereiten. Prompt kam das Fahrzeug zur Verblüffung des Lenkers von der Straße ab und überschlug sich. Kein Wunder, dass Herr Grazinski die Winnebago Motors Company auf Schadenersatz verklagte, weil in der Betriebsanleitung des Wohnmobils nicht darauf hingewiesen worden war, dass man auch bei eingeschaltetem Tempomat den Fahrerplatz nicht verlassen dürfe. Mr. Grazinski erhielt stattliche 1,75 Millionen Dollar.

Der Hersteller des Wohnmobils hat inzwischen übrigens die Betriebsanleitung entsprechend geändert.




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Dokument erstellt am 04.03.2004 um 20:32:12 Uhr
Erscheinungsdatum 05.03.2004